Vorwort
Die
literarische Modebewegung der Galanten spielt in
Deutschland an der Wende vom 17. zum 18.
Jahrhundert über mehrere Dekaden hinweg eine
kulturell bedeutende Rolle. Im allgemeinen
Bewußtsein ist sie durch die erotisch
ungewöhnlich freizügige Lyrik gegenwärtig
geblieben, die vor allem in Benjamin Neukirchs
berühmter Anthologie Herrn von
Hoffmannswaldau und andrer Deutschen Gedichte
seit 1697 in insgesamt sieben Bänden versammelt
ist. Reizt hieran das Skandalöse, so kann doch
der insgesamt sehr viel weitere Horizont der
galanten Bewegung nicht vergessen werden, der
auch den galanten Roman und flankierende
Phänomene der Kunst- und Musikgeschichte
umfaßt. Zugrunde liegt diesen künstlerischen
Erscheinungen eine deutliche Hinwendung zum
höfisch-aristokratischen Vorbild Frankreichs, wo
das galante Verhaltensideal bereits in der Mitte
des 17. Jahrhunderts in den Pariser Salons
entwickelt und kultiviert worden war. Das
verhaltensethische Fundament des Galanten wirkt
sich entsprechend auf die philosophische
Diskussion aus und bildet ein Kernmotiv in der
frühaufklärerischen Kritik des Christian
Thomasius, der in seiner berühmten
Universitätsvorlesung Von der Nachahmung der
Franzosen als Interpret und Mentor der
galanten Bewegung auftritt. Damit einher gehen
Modifikationen in der stilistischen Attitüde,
die sich auf die Rhetorik, auf die
Konversationskultur und die Briefstilistik
auswirkt. Werden hier Richtungen eingeschlagen,
die geradewegs ins Jahrhundert der Aufklärung
weisen, so führt in Deutschland die poetische
Orientierung an nationalen Mustern damit zu einer
Exponierung und Fortschreibung von überkommenen
Vorbildern wie Martin Opitz, Christian Hoffmann
von Hoffmannswaldau und Daniel Casper von
Lohenstein. Dies bewirkt eine eigentümlich
unentschiedene Stellung der galanten Dichtung
zwischen den Epochen und zwischen der
Orientierung an europäischen
Modernisierungstendenzen einerseits und
nationaler Selbstbehauptung andererseits.
Insofern ist gerade auch die kulturelle Differenz
und die zeitliche Verzögerung der Rezeption des
galanten Ideals in Deutschland von besonderer
Signifikanz.
Conrad Wiedemann
begrenzte den Wirkungszeitraum der Galanten in
seiner Anthologie Der galante Stil auf den
Zeitraum von 1680 bis 1730. Die galante Bewegung
dominierte demnach in Deutschland für nahezu ein
halbes Jahrhundert den literarischen Geschmack,
parallel zum Zeitalter der frühen Aufklärung
und zur pietistischen Erneuerung des Glaubens. In
der Forschung ist diesen Verbindungen bislang
wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Überhaupt
fehlt es an einer übergreifenden monographischen
Darstellung und an Projekten, die in
interdisziplinärer und kulturgeschichtlicher
Perspektive die verschiedenen Stränge dieses
typischen Zeitgeist- und Schwellenphänomens
aufeinander zu beziehen suchen. Bislang stehen
Studien zum galanten Verhaltensideal, zur
Philosophie der Frühaufklärung, zur galanten
Rhetorik, zum galanten Roman und zur galanten
Lyrik weitgehend isoliert nebeneinander. Es ist
literarhistorisch kaum klar, welcher Stellenwert
dem Phänomen insgesamt zu geben, beziehungsweise
auf welcher theoretischen Ebene es zu verorten
sei. Der unklaren Zuordnung zwischen
literarischer Bewegung, gesellschaftlicher Mode,
Stilideal und Epochenphänomen soll hier der
Begriff des galanten Diskurses Rechnung tragen,
der es erlaubt, die unterschiedlichen
Erscheinungsweisen übergreifend und ohne
disziplinäre Gewichtung zu erfassen. Mit der
Fragestellung Kommunikationsideal und
Epochenschwelle soll eine
Auseinandersetzung angestrebt werden, die über
oberflächliche Motiv- und Stilanalysen
hinausgreift. Im Stichwort des
Kommunikationsideals ist der
gesellschaftsethische Hintergrund des Galanten
angesprochen und damit die Tatsache, daß es sich
primär um ein Verhaltens- und
Kommunikationsideal handelt die galante conduite
, von dem die literarischen
Erscheinungsformen abgeleitet werden. Das
Stichwort Epochenschwelle sollte die nötige
historische Einordnung der Erscheinungsformen des
Galanten im Zeitalter der Frühaufklärung
einfordern und zu entsprechenden Antworten
anregen. Ein lokaler Schwerpunkt des vorliegenden
Bandes liegt zugleich auf dem schlesischen Raum,
der auch im Zeitalter der Galanten einen
kulturellen Mittelpunkt der literarischen
Entwicklung in Deutschland bildete.
Die Tagung Der
galante Diskurs Kommunikationsideal
und Epochenschwelle fand als zweite
reguläre Jahrestagung der Internationalen
Andreas Gryphius-Gesellschaft (iagg) auf
Einladung von Prof. Dr. Walter Schmitz und unter
der Leitung von Dr. Thomas Borgstedt (Frankfurt
am Main) vom 2. bis 5. Dezember 1999 an der
Technischen Universität Dresden statt. Der
vorliegende Band versammelt diejenigen Beiträge,
die auf der Tagung vorgetragen wurden, sowie
solche, die aus technischen Gründen nicht
gehalten werden konnten und die deshalb hier
erstmals vorgelegt werden.
Zu danken haben wir dem
Sächsischen Staatsministerium des Innern für
die großzügige materielle Unterstützung der
Tagung und des vorliegenden Bandes, der
Technischen Universität Dresden, dem
Germanistischen Institut und insbesondere Herrn
Prof. Dr. Walter Schmitz, der die Durchführung
der Tagung in Dresden in finanzieller wie in
institutioneller Hinsicht möglich gemacht hat
und der gemeinsam mit seinen Mitarbeitern für
eine in jeder Hinsicht angenehme und komfortable
Atmosphäre zu sorgen wußte. Für die perfekte
Organisation vor Ort besonders zu danken ist in
diesem Zusammenhang Herrn Ulrich Fröschle und
Herrn Dr. Frank Almai sowie allen helfenden
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Herrn Prof. Schmitz danken wir
darüber hinaus für die Aufnahme des
Tagungsbandes in die Reihe Arbeiten zur
Neueren deutschen Literatur, dem Verlag
für die unbürokratische und reibungslose
Zusammenarbeit bei der Drucklegung. Die
redaktionelle Betreuung und die technische
Einrichtung des Bandes wurde auf vorbildliche
Weise und mit ungewöhnlichem Einsatz von Frau
Yvonne Wolf (Mainz) durchgeführt. Ohne ihr
großes Engagement und ihre besondere Sorgfalt in
der Betreuung der einzelnen Beiträge unter hohem
Zeitdruck wäre die schnelle Veröffentlichung
des Bandes keineswegs möglich gewesen. Ihr
gebührt an dieser Stelle der außerordentliche
Dank der Herausgeber.
Thomas Borgstedt, Andreas Solbach
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